Die doppelte Verteibung der Bewohner des Dorfes Protzan
Einleitung
Protzan während des Krieges
Die Russen sind da
Die erste Vertreibung durch die Polen
In der Gewalt der polnischen Miliz
Was im Dorfe geschehen war
In den Fägen der Polen in Neisse
Die Polen sind die neuen Herren in Protzan
Der Mord an Hans Schneider
Herbst und Winter
Die endgültige Vertreibung
Die Fahrt in den Westen
Die schwierige Aufnahme in Westdeutschland
Der Neuanfang nach der Vertreibung
Protzan oder Zwrocóna?
Protzan während des Krieges
Die meisten jungen Männer mußten zum Militär. Wenige wurden als "unabkömmlich" meistens
für die Landwirtschaft zurückgestellt. Bald schon kam die erste böse Nachricht und dann immer weitere
über den "Heldentod" eines Angehörigen in die Familien. Dann nahm das ganze Dorf an der Trauer der
betroffenen Familie teil. Der erste, der sein Leben lassen mußte, war Ernst Klingberg. In vielen Familien fiel der
einzige Sohn. Familie Kuras verlor drei Söhne, Ehepaar Bartel zwei von dreien, das Ehepaar Mälzig sein einziges
Kind.
Nach und nach wurden immer mehr auch ältere "wehrdienstfähige" Männer an die Front
eingezogen. Sie fehlten in ihren Familien, an ihren Arbeitsplätzen, ja einfach überall, besonders auch in der
Landwirtschaft. Da half auch das für die jungen Mädchen eingeführte "Pflichtjahr" oder das
"Landjahr" nicht. Als "Ersatz" für die fehlenden Arbeitskräfte kamen junge, zwangsverpflichtete
Fremdarbeiter und -arbeiterinnen, fast alle aus Polen und der Ukraine stammend, auf die Höfe. Meistens waren sie recht
anstellig und hatten es entsprechend gut bei den Bauern. Sie hatten ein warmes Bett, Kleidung und aßen gewöhnlich
nicht nur das gleiche sondern auch zusammen mit ihren deutschen "Dienstherren" am Tisch. Das Schlimmste für
sie war sicher, daß ihnen Nachrichten von den Angehörigen aus ihrer Heimat in den Kriegsgebieten fehlten.
Monatlich mußte eine Art Sozialabgabe beim Bürgermeister für sie eingezahlt werden.
Im Hof Schneider war in den ehemaligen Knechtekammern im Vordergebäude über dem Pferdestall das
Kriegsgefangenenlager. Anfangs lagen da Franzosen, später Serben, die auch auf den Höfen in der Landwirtschaft
eingesetzt waren. Jeder hatte sein Bett, gegessen wurde bei den Bauern, wo sie arbeiteten. Auch für sie war das ganze
erträglich. Zu ihrer Bewachung hatte ein wegen Verwundung nicht mehr "fronttauglicher" deutscher Soldat bei
den Gefangenen eine Kammer. Er begleitete sie morgens auf die Höfe und holte sie abends wieder ab. Außerdem machte
er auch eine Art Verwaltungsarbeit, war also für die Gefangenen in jeder Weise verantwortlich. Zuletzt war das ein
Österreicher namens Rupp.
Aus den westdeutschen, dem Bombenterror der Alliierten ausgesetzten Städten, hatte man Frauen mit Kindern
aufgenommen. Schlesien war für die "Evakuierten" der Luftschutzraum des deutschen Reiches geworden.
Im Jahre 1943 starb Pfarrer Otto Peukert. Er war seit 1932 in Protzan Pfarrer und ein, besonders auch bei den Kindern,
sehr beliebter Geistlicher. Pfarrer Peukert hatte sich auch um die Renovierung der Kirche sehr verdient gemacht. Er war ein
Finanzgenie. Ihm war die Rettung des Kirchturmes zu verdanken. Das Eichengebälk zeigte sich nämlich bei einer
Inspektion, an welcher Herr Pauli teilnahm, so morsch, daß es mit einem Spazierstock durchstoßen werden konnte.
In der Totenkapelle wurden Fresken, das Fegefeuer darstellend, freigelegt. Einer armen Seele fehlte das Gesicht. Da
ließ Pfarrer Peukert das seine hineinmalen. Auch die Figuren der "Taufe Christi durch Johannes", welche
sich auf dem Speicher der Kirche fanden, wurden wieder auf dem Deckel des Taufbeckens angebracht.
Nachfolger dieses tüchtigen und beliebten Geistlichen wurde 1943 Pfarrer Georg Kliche.
Anfang Februar 1943 kapitulierten die deutschen Truppen unter Feldmarschall Paulus in Stalingrad. Jetzt befanden sich
die deutschen Truppen immer weiter auf dem Rückmarsch. Am 6.6.1944 begann die Invasion in der Normandie. Mit der
zweiten Front im Westen zeichnete sich das Ende des Krieges immer mehr ab. In Breslau wurden die Schulen evakuiert.
Das Lyzeum in Frankenstein war Lazarett geworden. Das bittere Ende warf seine Schatten voraus.
Im Sommer wurden viele Jugendliche zum Unternehmen "Barthold" (so genannt nach einem schlesischen Landvogt
zur Zeit der deutschen Besiedlung) zum "Schippen" herangezogen, das hieß Schützen- und
Panzergräben ausheben. Es war sehr hart für die 15-16jährigen Jungen und Mädchen monatelang an der
schlesischen Grenze zu Polen in primitiven Lagern zu hausen und körperlich schwer zu arbeiten. Im Dezember waren
sie meistens endlich wieder zuhause. In Protzan feierte man die letzte noch "friedliche" Kriegsweihnacht.
Die bisher fast verschont gebliebene Stadt Breslau erlebte am 19.1.1945 einen Luftangriff. Die Front rückte
immer näher. Breslau wurde zur Festung erklärt. Die Evakuierung der Zivilbevölkerung im bitter kalten
Winter begann viel zu spät. Am 13.2.1945 wurde Breslau von den Russen eingeschlossen. Die große Flucht war
im Gange. Flüchtlingstrecks nächtigten jetzt öfter in den Gehöften des Dorfes Protzan; fast nur
Frauen mit Kindern und alte Leute mit ihrem Treck auf der Flucht. Ihre Pferde wurden zur Nacht in den Scheunen untergebracht.
Einmal wurden KZ-Insassen, ausgemergelte, frierende Menschen in ihren dünnen, gestreiften Anzügen Richtung
Westen durch das Dorf getrieben. Die Hoftore mußten geschlossen werden. Es sollte niemand zuschauen, trotzdem wurden
den Hungernden Brotstücke und vom Bäcker Mälzig Körbe voll Brötchen hinaus in den Schnee zugeworfen.
Am letzten Gehöft am Ende des Dorfes bei Zwiener wurde eine Rast angeordnet. Die Familie Zwiener mußte einen
großen Kessel Kartoffeln für die armen, geschundenen Menschen kochen, ehe man diese weiter trieb. Am nächsten
Morgen lagen am Weg des traurigen Zuges die Toten leicht zugedeckt im Straßengraben. Viele wurden dann in der
Nähe des Dorfes vergraben.
Niemand hat das bis heute vergessen, war man doch zum ersten Mal mit dem KZ-Elend konfrontiert worden, von dem fast
niemand richtig wußte. Und wer eventuell davon etwas wußte, der wagte nicht darüber zu sprechen.
Herr Pauli, ein Mann der gewohnt war zu seinem Wort zu stehen, war von den Nazi verhaftet worden. Er hatte sich
im Ärger zu unvorsichtigen Äußerungen gegen Hitler hinreißen lassen. Einer der Gründe war,
daß eine evakuierte Berlinerin, die in einem seiner Häuser untergebracht war, aus Bequemlichkeit
Dielenbretter aus einem leerstehenden Raum gebrochen und verheizt hatte. Herrn Pauli´s Töchter bemühten sich
in den Wirren des Kriegsendes bis nach Görlitz, um den Vater frei zu bekommen. Als sie dort ankamen, hatte man
den Vater aber doch bereits aus der Haft entlassen. Sie waren aneinander vorbei gereist.
Viele der wenigen noch im Dorf verbliebenen Männer mußten jetzt auch noch zum "Volkssturm",
der in der Zuckerfabrik in Zadel zusammengezogen wurde.
Die Russen waren bis zur Stadt Neisse vorgedrungen. Je nach Witterung hörte man in Protzan das Grollen des
Kanonendonners von Breslau oder von Neisse.
Auch für Protzan war die Evakuierung der Bevölkerung angeordnet worden. Frauen und Kinder wurden mit
Pferdewagen nach Oberhannsdorf in der Grafschaft Glatz gebracht.
Quer über die Ein- und Ausfallstraßen von Frankenstein und Wartha hatte man "Panzersperren"
aus Baumstämmen errichtet. Dort wurden von der Militär-Polizei, den sogenannten "Kettenhunden",
Kontrollen der in Bewegung befindlichen Wehrmachtsangehörigen durchgeführt wegen Desertation usw.
(Anm.: die Militär-Polizei trug an einer Kette um den Hals eine große Erkennungsplatte aus Metall vor
der Brust) Am 6.5.1945 mußte sich die "Festung" Breslau der russischen Übermacht ergeben.
Es war Sonntag. Auch die deutschen Soldaten, die die Stadt Neisse tapfer verteidigt hatten, waren der russischen
Übermacht erlegen. Die Russen rückten näher. Angst beherrschte alle. Die deutsche Wehrmacht befand sich auf
dem Rückzug in Richtung Glatz und in panischer Auflösung. Eine Einheit sprengte noch am Vormittag des 8.5.1945
in Wartha die schöne alte Straßenbrücke über die Neisse. Die Eisenbahnbrücke hatte der versuchten
Sprengung standgehalten, sie war nur leicht beschädigt.
Dann waren die Russen da. Die deutsche Wehrmacht mußte bedingungslos kapitulieren.
In der Nacht vom 8. zum 9.5.1945 kam es zum Waffenstillstand, der Krieg war aus.
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